Das Zungenband als Sündenbock für alles und magischer Problemlöser?

Eckdaten (Gravida ll, Para ll):
Kind:                           Junge
Geburtstag:                 24.06.2019
Geburtsgewicht:         3740 g
Krankheiten Mutter:    Autoimmunthyroiditis (durch Endokrinologen aber super eingestellt und nicht auf die Stillhormone negativ wirksam), evtl. tubuläre linke Brust, normale rechte Brust
Zugefütterte Menge:   ca. 150 ml

Vorgeschichte:
Bei meinem ersten Kind hatte ich bereits Stillprobleme. Im Krankenhaus bekamen wir direkt den Rat zuzufüttern, was wir damals auch taten, mit Spritze und dem kleinen Finger. Sie nahm dann über 10% ab und nicht mehr zu, trotz des Zufütterns, bzw. aufgrund der Zufütterungsmethode: im Krankenhaus gab man uns die PRE mit Schlauch. Selbst am 7. Tag stagnierte damals das Gewicht noch. Ich habe ihren Verlauf noch auf dem Handy. Wenn ich mir das manchmal anschaue, schüttelt es mich immer noch. Körperliche Gründe wurden damals abgeklärt und ausgeschlossen. (Ebenso das Zungenband, allerdings schaute der Chirurg damals nur nach einem anterioren Zungenband.)

Nach einigen Wochen entdeckte ich das Brusternährungsset für uns, da die Flasche für mich nicht in Frage kam und auch heute noch nicht in Frage kommt. Ich tat damals alles dafür, irgendwann ausschließlich stillen zu können. Nach Malzbier, Bockshornklee, Power Pumping und allen mir damals bekannten Methoden (außer Domperidon) gab ich schließlich auf und stillte meine Tochter zwei Jahre und drei Monate mit dem Brusternährungsset. Sie bekam täglich zwischen 200 und 300 ml dazu. Das Pumpen gab ich irgendwann auf.

Ich hatte damals das Gefühl mein Kind nicht ernähren zu können und erlebte einen Selbstwerteinbruch. Permanent hörte ich in meinem Bekanntenkreis von Mamas, dass ihre Milch nur so spritzte. Diese Mamas wussten ihr gelingendes Stillen meiner damaligen Meinung nach definitiv nicht zu schätzen und stillten mit 5-6 Monaten meistens schon ab. Mein Tagesablauf richtete sich 6 Monate nur danach, nicht mehr als nötig zuzufüttern, und wurde begleitet von der Angst, einen Rückgang meiner Milchproduktion zu erleben. Nach 6 Monaten beschloss ich, mein Baby zu genießen und die Situation so zu akzeptieren, wie sie eben war.

Da das Stillen eine ungeheure Bedeutung in meinem Leben eingenommen hatte, beschloss ich eine Ausbildung zur Stillbegleiterin (DAIS)zu machen, welche ich im März 2019 erfolgreich abschloss.

Die zweite Schwangerschaft: 
In meiner zweiten Schwangerschaft hatte ich bereits in der ca. 25. SSW Kolostrum, welches ich täglich per Hand gewann und meiner Tochter gab. Ich dachte, wenn ich vorarbeitete, würde es dieses Mal klappen.

Geburt ll und die ersten Tage: 
Dieses Mal hatte ich alle Gegebenheiten, die ich als Stillhindernis empfand, bereits frühzeitig eliminiert. Mein Sohn wurde zuhause geboren. Die Geburt war schnell und das Bonding wunderschön. Er schlief schnell ein, wurde aber etwa zweistündig geweckt und zum Stillen angelegt. Ich hatte auf alle Zeichen für erfolgreiches Schlucken geachtet und befand den Stillstart als gut.

Lebenstag 1-3: 
Da hatte ich aber nicht mit der Meinung meiner Hebamme gerechnet. „Das Baby muss mindestens 10 mal schlucken, dann hat es etwa 5 ml Milch getrunken“, so ihre Meinung.

Unter anderem kommunizierte sie mir: ,,Wir müssen mal schauen, ob da was aus Deiner Brust raus kommt. Deiner letzten Stillbeziehung nach zu urteilen, wird das schwierig‘‘ und ,,ich will erst sehen, dass Milch in Deiner Brust fließt, vorher glaube ich nicht, dass da was passiert ist‘‘.

Mit 3.740 g geboren, hatte er am 3 Tag fast die Grenze erreicht: 3.380 g sagte die Waage.

Lebenstag 4-6: 
Am 4. Tag stagnierte das Gewicht, am 5. Tag hatte er sogar 10 g zugenommen. An diesem Tag verbot ich meiner Hebamme, mit mir über das Stillen zu sprechen. Alleine der Gedanke daran, dass sie wieder meine Brust sehen oder mir beim Stillen zuschauen wollte, versetze mich in Angst und Schrecken.

Der Satz ,,Es geht mir durch Mark und Bein‘‘ bekam eine tiefe Bedeutung in dieser Zeit.

Am 6. Tag stagnierte das Gewicht abermals, und meine Hebamme kommunizierte mir schließlich: ,,Vielleicht musst Du akzeptieren, dass Du wunderbar Kinder bekommen kannst, aber einfach nicht stillen.‘‘ Da saß. So fuhr ich zur Apotheke und kaufte ein Brusternährungsset und eine Handpumpe. Eine Freundin besorgte mir PRE-Nahrung.

Ab dem 7. Tag fütterte ich 50 ml täglich zu. Meine Hebamme meinte dazu nur, dass das zu wenig sei, denn sie würde stark bezweifeln, dass ich zu 80 % stillen könne.

Man darf hierbei nicht vergessen, dass ich selber ausgebildete Stillbegleiterin bin und mich trotzdem habe so stark verunsichern lassen.

Er trinkt und schluckt sichtlich, und irgendwann kommt nichts mehr aus der Brust raus. Die Brustwarzen sind fast schon trocken und es kommt trotz Massage nicht einmal mehr ein kleiner Tropfen. Das ist der Punkt, an dem er das Brusternährungsset bekommt. Den Grund dafür konnte ich leider noch nicht finden.

Meine Ursachenforschung und milchfördernde Maßnahmen:

  • Überprüfung des Prolaktinwerts
  • Überprüfung meiner Blutwerte (TSH, Laktat, Blutzucker uvm.) beim Endokrinologen
  • Power Pumping
  • Handgewinnung bzw. effektives Entleeren der Brust
  • Bockshornklee
  • Viel Bettruhe und 24 h Körperkontakt
  • und letztendlich Domperidon

Das Zungenband: 
Zugleich hatte ich einen Termin beim Chirurgen vereinbart. Er diagnostizierte ein posteriores Zungenband, und wir entschieden uns dazu, es durchtrennen zu lassen. Der Blick in den Mund meines Partners offenbarte ebenso ein kurzes anteriores Zungenband, das in einem hohen Gaumen resultierte. Der Blick in den Mund meiner Tochter zeigte ein übersehenes posteriores Zungenband, welches so einiges erklärte. Der Chirurg ließ mich an der OP teilhaben, als ich ihm erklärte, dass ich als Stillberaterin interessiert sei.

Die Operation (Zungenband und Lippenband): 
Man hatte mir erzählt, dass das Durchtrennen sei nur ein kurzer Eingriff. ,,Schnapp - Zungenband ab, anlegen, heimgehen und ‚zack‘ sind die Stillprobleme beseitigt.‘‘ Darauf freute ich mich unglaublich. Meine Probleme beim Stillen sollten schon bald behoben sein. So sollte ich ja dann schnell zum ausschließlichen Stillen übergehen können.

Der Chirurg warnte mich mit den Worten: ,,Irgendwie kommunizieren so viele Stillberater und Ärzte bis heute noch, dass es nur ein kleiner Schnitt ist, das ist es aber nicht. Bitte kippen Sie nicht um, sonst lasse ich Sie hier nicht teilnehmen. Normalerweise dürfen Mamas hier nicht mit rein. Bei Ihnen lasse ich aber wirklich nur die wissenschaftlichen Gründe zählen.‘‘ 
Schon die lokale Anästhesie war leicht schockierend für mich. Mein Sohn wurde blau um den Mund und blutete von der Betäubung am Lippenband, welches auch direkt durchtrennt werden sollte.

Der Eingriff an sich war relativ schnell vorbei, aber ein kleiner Schnitt war es bei weitem nicht! An der Lippe schnitt der Chirurg mindestens 4-5 Mal, dann durchstach er die Zunge mit Nadel und Faden, band den Faden an einer Schere fest und ließ die OP-Assistentin die Zunge an der Schere noch oben ziehen. Dann schnitt er einige Male unterhalb der Speicheldrüse an der Zunge und oberhalb.

Ein Glück, dass mein Sohn sich alles ohne Heulen gefallen ließ. Im Anschluss wurden wir ins Wartezimmer gebeten. Ich hielt einen Tupfer in seinem Mund. Da er nicht wirklich aufwachen wollte und fast schon wie bewusstlos erschien, kamen die Schwestern um ihn zu nehmen und die Vitalfunktionen zu überprüfen. Er schlief und schlief, bis wir zuhause waren.

Dort aber fing er dann fürchterlich an zu weinen, so dass ich ihm die verschrieben Schmerzzäpfchen geben musste. Dass das nicht gut für den Magen-Darmtrakt gut sein kann, will ich gar nicht erwähnen. 
Die Übungen (Saugtraining) machten bzw. machen wir so gut wir es hinbekommen. (An meinem Finger saugen mag er gar nicht, aber alles andere macht er ganz gut mit.)

Nun wartete ich auf die versprochene Besserung des Stillens und die zu erwartende Gewichtszunahme. Denn das Zungenband war ja an allem schuld und löst aber dann, wenn es erst durchtrennt ist, alle Probleme, so hatte man es mir gesagt. Der Chirurg hatte mir auch sofort ein Schreiben mitgegeben auf dem Stand, dass meine Stillprobleme nun weg seien. Das sollte ich meinem Kinderarzt geben. Ich erinnere mich, dass ich es am Tag der Operation amüsant fand; es lag da bereits auf dem Tisch, dabei war das Zungenband noch gar nicht durchtrennt.

Mündlich hatte er mir aber vor der OP gesagt, dass er nicht sicher sei, ob das die Stillprobleme lösen würde. Man könne es nur probieren. 
Meine Stillprobleme hat es leider – Stand heute ist mein Baby 11 Wochen alt -nicht gelöst.

Was sich nach der OP geändert hat: 
Ich pumpe mittlerweile 50 ml, wenn er in der Nacht manchmal länger nicht trinkt. Domperidon nehme ich jetzt seit dem 8.7.2019 und auch immer noch, reduziere aber fortlaufend. Ich habe meine Prolaktinwerte zweimal bestimmen lassen, einmal vor und einmal nach längerer Domperidon-Einnahme. Die Blutwerte hat es nicht verändert. 
Nach einigen Büchern und Videos von Dr. Jack Newman habe ich unsere Anlegetechnik perfektioniert und benutze Brustkompression, pumpe außerdem immer noch abends (Powerpumping). Er bekommt täglich 50 ml abgepumpte Milch und 100 ml PRE-Nahrung, manchmal auch mehr oder weniger. Wir füttern nach Bedarf zu.

Es lag also weder am Prolaktin noch an der Schilddrüse noch an meiner Brust oder dem Zungenband? Woran lag es dann?

Fazit: 
Meine subjektive Einschätzung, ohne ein Medizin Studium absolviert zu haben, oder lange Erfahrung in der Stillberatung zu haben ist:

  1. Da ich nur eine richtig gut funktionierende Brust habe und die andere leicht tubulär ist und weniger Milch produziert, ist das Stillen bei mir so oder so ein auf äußere Einflüsse sensibles System. (Links pumpe ich 15 ml, rechts 50 ml.)
  2. Mein Sohn entleerte die Brust am Anfang nicht effektiv, was zum Rückgang meiner Milch führte. Unsere Anlegetechnik hätte Dr. Jack Newman wohl als ,,poor latch‘‘ bewertet. Mir und auch meinen ganzen Stillberatungs-Freunden war immer nur die Umstülpung am Mund wichtig. (Meine Hebamme befand die Anlegetechnik ebenso als gut). Auf dieses Detail hatte ich leider nicht geachtet.
  3. Das kurze Zungenband wäre wohl nie aufgefallen, hätte ich zwei funktionierende Brüste. Dann würde er sich die fehlenden 150 ml aus der anderen Brust bzw. den beiden Brüsten im Wechsel holen. Damit möchte ich nicht grundsätzlich von der Durchtrennung des Zungenbandes abraten, allerdings ist hier nicht das Zungenband der Sündenbock für die Stillprobleme.
  4. Ich hätte von Anfang an einfach auf Verdacht verschiedene milchfördernde Maßnahmen ergreifen sollen und nicht so lange warten sollen.

Da das Pumpen super klappt, bin ich mir sicher, wenn ich all meine Energie zusammennehmen würde, würde ich die fehlenden 150 ml sicher aus der Brust bekommen. Wir befinden uns aber momentan in der „Zufütterungsfalle“, in einem Teufelskreis. Ich habe die fehlenden Milliliter, aber zum falschen Zeitpunkt, was sicher durch das Zufüttern entstanden ist.

Irene Freckmann, DAIS Stillbegleiterin, Anfang September 2019

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