Beginn der reichlichen Milchbildung“: ein fachlich korrekter, stillfreundlicher Begriff

von Utta Reich-Schottky, DAIS, aktualisiert April 2023

Sprachliche Begriffe erzeugen bildliche Vorstellungen, und diese Vorstellungen beeinflussen unser Verhalten. Wir müssen deshalb gut überlegen, welche Bilder vom Stillen wir mit unserer Sprache vermitteln.

Ein gutes Beispiel dafür sind die physiologischen, normalen Vorgänge in der Brust in den Tagen nach der Geburt: Durch die Ablösung der Plazenta sinkt der Progesteronspiegel, das Prolaktin kann auf die Alveolen einwirken, die reichliche Milchbildung wird angestoßen. Das ist ein physiologischer Prozess. Unter physiologischen Bedingungen läuft er störungsarm ab.

Leider haben wir in unserer heutigen Zivilisation selten physiologische, natürliche Bedingungen rund um die Geburt. Stattdessen haben wir oft fest verankerte, unphysiologische Routinen und Empfehlungen für diese Phase. Wenn der Mutter der unmittelbare Hautkontakt mit dem Neugeborenen verwehrt wird oder ausgiebiger Hautkontakt medizinisch nicht möglich ist und sie nicht früh und häufig und entspannt stillen oder Muttermilch gewinnen kann, dann kommt es oft zu einer verspäteten und überschießenden Reaktion: Starke Durchblutung der Brust, starke Lymphbildung und vermehrte Milchbildung können zu einem Ödem führen, zu harten, geschwollenen, schmerzhaften Brüsten. Unter der Geburt gegebene Infusionen können die Ödembildung noch verstärken.

Diese Situation wurde früher und wird manchmal auch heute mit dem Begriff Milcheinschuss beschrieben. Dieser Begriff beschreibt das plötzliche und heftige Auftreten der Symptome gut. Inhaltlich trifft er es nicht so ganz, weil hauptsächlich Blut und Lymphe vermehrt sind und nicht allein die Milch.

Der Begriff initiale Brustdrüsenschwellung benennt korrekt den in dieser unphysiologischen Situation auftretenden Überschuss in allen Flüssigkeitskompartimenten und die damit verbundene Ödembildung. Der Begriff beschreibt allerdings nicht den zugrundeliegenden physiologischen Prozess – den hormonell bedingten Umschwung zur reichlichen Milchbildung – sondern eine mögliche Begleiterscheinung.

Beide Begriffe können ziemlich negative Gefühle und Assoziationen auslösen. Einer Schwangeren zu sagen, ihre Stillzeit werde mit einem Milcheinschuss oder einer initialen Brustdrüsenschwellung beginnen, klingt eher ausladend als einladend.

Es geht auch anders

Wenn die Mutter von Geburt an viel Hautkontakt mit ihrem Neugeborenen hat und häufig und entspannt stillen oder zumindest Muttermilch gewinnen kann, dann kommt es zu einem frühen, gleichmäßigen, entspannten Anstieg der Milchbildung. Die Brust wird größer und fester, aber nicht schmerzhaft geschwollen. Auch die zurückgelehnte Stillhaltung wirkt sich günstig aus.

Zwei randomisierte, kontrollierte Studien in Babyfreundlichen Kliniken zeigten: Die Umsetzung der Babyfreundlichen Anforderungen, ergänzt um die Anleitung zur zurückgelehnten Stillhaltung, kann Problemen rund um den Beginn der reichlichen Milchbildung weitestgehend vorbeugen (Milinco et al. 2020, Yin et al. 2021).

Der Beginn der reichlichen Milchbildung ist ein physiologischer Vorgang. Wir sollten ihn unterstützen und nicht beeinträchtigen. Und wir sollten ihn einladend benennen.  

Literatur

  • Milinco M, Travan L, Cattaneo A, Knowles A, Sola M, Causin E, Cortivo C, Degrassi M, Di Tommaso F, Verardi G, Dipietro L, Piazza M, Scolz S, Rossetto M, Ronfani L (2020). Effectiveness of biological nurturing on early breastfeeding problems: a randomized controlled trial. International Breastfeeding Journal 15:21 https://doi.org/10.1186/s13006-020-00261-4
  • Yin C, Su X, Liang Q, Ngai FW. Effect of Baby-Led Self-Attachment Breastfeeding Technique in the Postpartum Period on Breastfeeding Rates: A Randomized Study. Breastfeed Med. 2021;16(9):734-40 https://www.liebertpub.com/doi/10.1089/bfm.2020.0395

  

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