Beikost - ein Blick über den Tellerrand

Die Gattung Homo lebt seit ungefähr 2,5 Millionen Jahren. Sie hat sich über die ganze Erde verbreitet, lebt in allen Klimazonen von der Savanne in Afrika bis zum Nordpol, unter den verschiedensten Lebensbedingungen, mit den unterschiedlichsten Ernährungsformen von Jagen und Sammeln bis Ackerbau und Viehzucht. In der ganzen Zeit ist es den Familien gelungen, den Übergang vom Stillen zum Familienessen so zu gestalten, dass aus Babys fortpflanzungsfähige Erwachsene wurden.
Irgendetwas müssen sie richtig gemacht haben – ohne Empfehlungen von Kinderärzten, S3-Leitlinien zur Allergieprävention und Forschungsinstituten für Kinderernährung.

Und heute?
Was Millionen Jahre ging, scheint auf einmal nicht mehr zu gehen. Immer stärker wird den Eltern die Verantwortung dafür aufgebürdet, für ihre Kinder nicht nur hinreichend gut sondern optimal zu sorgen. Diese Aufgabe ist schon deshalb nicht zu bewältigen, weil es sehr unterschiedliche Vorstellungen davon gibt, was optimal sei; auch die offiziellen Ansagen ändern sich alle paar Jahre („Allergene ganz lange meiden“ – „Allergene ganz früh zufüttern“). Die Kompetenz dafür, selber zu sehen, was für ihre Kinder und Familie passt, wird den Eltern abgesprochen.
Der Druck, sich nach Expertenempfehlungen und „neuesten Erkenntnissen“ zu richten, ist teilweise immens. Parallel dazu sind industriell verarbeitete Produkte auf dem Vormarsch und bedrohen traditionelles Wissen in den Familien über Herstellung, Auswahl und Zubereitung von Lebensmitteln. Diese Situation wird mitverursacht durch massive wirtschaftliche Interessen an der Ernährung im allgemeinen und an der Säuglingsernährung und der Beikost im Besonderen.

Ein kleines Rechenbeispiel:
Lautet die amtliche Empfehlung, mit Beikost am Anfang des 5. Lebensmonats zu beginnen statt ungefähr mit einem halben Jahr, dann bedeutet das den Verkauf von ca. 60 zusätzlichen Gläschen pro Kind, also bei 1 € pro Glas und 700.000 Geburten pro Jahr ein Umsatzplus von 42 Millionen Euro. Zuwendungen und Aufträge der Firmen an diejenigen, die die Empfehlungen erarbeiten und weitergeben, erzeugen Interessenkonflikte und das Risiko, dass die Empfehlungen im Interesse der Firmen beeinflusst werden.

Es gibt weitere, insbesondere ökologische Gründe, gegenüber dem industriellen Einfluss auf unsere Ernährung skeptisch zu sein. Die Entwicklung der „modernen“ Landwirtschaft führt u.a. zu Massentierhaltung mit massenhafter Antibiotikaverwendung. Das führt zu Antibiotikaresistenzen, zur Verarmung der Böden, zu Verschiebungen im Mikrobiom der Böden und auch der Menschen. Steigender Pestizideinsatz bewirkt schleichendes Artensterben und biologische Verarmung ganzer Landschaften.
Das alles gefährdet die Nahrungsgrundlage kommender Generationen.

Bei Diskussionen über das Wann und Wie des Beikostbeginns werden die wichtigen politischen und ökologischen Aspekte weitestgehend ausgeblendet. Stattdessen geht es stundenlang darum, ob die erste Beikost püriert oder fest sein muss, ob Pastinake oder Möhre genommen wird, ob ein Teelöffel oder zwei Teelöffel Öl zugefügt werden.
Für die langfristige Gesundheit und Nahrungssicherheit unserer Kinder ist das belanglos, sowohl im Vergleich mit den oben genannten Problemen als auch angesichts der Tatsache, dass es weltweit vielfältige Möglichkeiten für eine zur jeweiligen Esskultur passende Beikostgestaltung gibt.
Wir brauchen einen Blick über den Tellerrand.

Wir müssen Eltern in ihrer Ernährungskompetenz stärken und wir müssen privat und politisch Maßnahmen ergreifen, die die Biodiversität und damit die Nahrungssicherheit langfristig sichern. Dann erhalten unsere Kinder und hoffentlich auch deren Kinder bekömmliche Beikost.

Utta Reich-Schottky für DAIS, Sept. 2015

Literaturtipp: Palmer G. (2009) What is complementary feeding? A philosophical reflection to help a policy process. IBFAN GIFA, Genf

[Weiterführende Literatur zum Thema stellen wir Ihnen hier zur Verfügung.]

 

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